Freitag, 9. April 2010

Bevor ich mit den Wölfen heule

Bevor ich mit den Wölfen heule,
Werd‘ ich lieber harzig, warzig grau,
Verwandele ich mich in eine Eule
Oder vielleicht in eine graue Sau.
Ich laufe nicht mit dem Rudel,
Ich schwimme nicht mit im Strudel,
Ich hab‘ noch nie auf Befehl gebellt.
Ich lasse mich nicht verhunzen,
Ich will nach Belieben grunzen,
Im Alleingang, wie es mir gefällt!
Ich will in keinem Haufen raufen,
Laß mich mit keinem Verein ein!

Rechnet nicht mit mir beim Fahnenschwenken,
Ganz gleich, welcher Farbe sie auch sein‘n.
Ich bin noch imstand‘, allein zu denken,
Und verkneif‘ mir das Parolenschrei‘n.
Und mir fehlt, um öde Phrasen,
Abgedroschen, aufgeblasen,
Nachzubeten jede Spur von Lust.
Und es paßt, was ich mir denke,
Auch wenn ich mich sehr beschränke,
Nicht auf einen Knopf an meiner Brust!
Ich will in keinem Haufen raufen,
Laß mich mit keinem Verein ein!

Bevor ich trommle und im Marschtakt singe
Und blökend mit den Schafen mitmarschier‘,
Gescheh‘n noch viele ungescheh‘ne Dinge,
Wenn ich mir je gefall‘ als Herdentier.
Und so nehm‘ ich zur Devise
Keine andere als diese:
Wo schon zwei sind, kann kein dritter sein.
Ich sing‘ weiter ad libitum,
Ich marschier‘ verkehrt herum,
Und ich lieb‘ dich weiterhin allein!
Ich will in keinem Haufen raufen,
Laß mich mit keinem Verein ein!
Erinnert euch daran: Sie waren zwölfe:
Den dreizehnten, den haben sie eiskalt
Verraten und verhökert an die Wölfe.
Man merke: Im Verein wird keiner alt!
Worum es geht, ist mir schnuppe:
Mehr als zwei sind eine Gruppe.
Jeder dritte hat ein andres Ziel,
Der nagelt mit Engelsmiene
Beiden ein Ei auf die Schiene!
Nein, bei drei‘n ist stets einer zuviel!
Ich will in keinem Haufen raufen,
Laß mich mit keinem Verein ein!
(Reinhard Mey)
Quelle

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